Besser als ein Holzbein

Also gut. Wir alle unterliegen gewissen Stimmungs- und Gefühlsschwankungen, besonders in den letzten Wochen. Angst, Gleichgültigkeit, Depression wechseln sich ab mit Zuversicht, Freude, Empathieanwandlung. Wären davon nur Frauen betroffen, würde das gleich wieder in die Schublade „weiblicher Hysterien“ fallen. Ich kenne aber genügend Männer, die identische Symptome aufweisen und zum Ausgleich nur noch mit der Playstation, Joggingschuhen und Gitarre anzutreffen sind. Eine gewisse Unruhe und Anspannung macht sich langsam breit. Auch bei uns.

Dabei haben wir eigentlich vier schöne Wochen hinter uns, die völlig entspannt angefangen haben. Unsere Hamburger Frühjahrsferien, die ich mit einer Tochter in Italien verbracht habe, gingen fast nahtlos über in die Schleswig-Holsteiner Kontaktsperre. Super, endlich mal ausgiebig Zeit für den Frühjahrsputz, war mein erster Gedanke. Endlich mal wieder Zeit, richtig in Ruhe zu kochen und neue Dinge auszuprobieren. Tatsächlich haben wir gekocht wie die Weltmeister. Bei einer in Krisenzeiten wiedervereinten Familie von sechs Personen und drei Hunden hat nämlich immer jemand Hunger. Und da die einen erst gefrühstückt haben, während die anderen schon wieder übers Mittagessen nachdachten, war in der Küche immer Betrieb, vor allem zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung. So sah sie dann auch aus, die Küche. Und ein Frühjahrsputz wäre komplett sinnlos gewesen.

Langweilig war es nie. Irgendwie fühlte sich jeder Tag wie Sonntag an, unter blühenden Bäumen, mit viel Osterschokolade und einem Kuchen nach dem anderen. So häufig habe ich meine Kinder tagsüber seit Jahren nicht mehr gesehen und schon gar nicht zusammen. Wir durften für sie auch ein schönes, großes Osterfeuer vorbereiten und entzünden, zu dem sie sich gerne mit ihren Stühlen und Gläsern gesellten, dazu gab es leckeres, verkohltes Stockbrot, wie früher im Kinderhaus, dazu im Hintergrund Eulen-Heulen und zögerliches Kröten-Gequake. Und ein großer Mond. Alles gut.

Nun geht uns ein wenig die Luft aus. Meinen jüngeren Kindern fehlt mittlerweile sogar die Schule (oder die Freunde?). Bei notorischen Langschläfern will das etwas heißen. Oder wehe, das Internet versagt, dann ist richtig schlechte Laune angesagt, inklusive Türenknallen, Trampeln, Schnauben, Schimpfen. Selbst eine Liebe ist über die Zwangspause zerbrochen – wenn auch schon wieder verschmerzt. Der Alltag löst sich unmerklich auf und wird strukturlos. Die Haare werden länger, die Klamotten enger, die Gemüter unruhiger, Netflix uninteressanter.

Und jetzt hat mein Mann plötzlich auch noch eine neue Leidenschaft, die heißt mittags Kaffeekochen. Damit fängt er meistens schon an, während ich noch mit der Zubereitung des Essen beschäftigt bin. Ich stehe also in der Küche, mühe mich mit dem Wan Tan Teig ab, der schon auf der Arbeitsfläche anzutrocknen droht, die Brühe köchelt munter vor sich hin und ich kriege diese blöden Nudeln nicht zusammen. Dabei hatte ich mich so auf darauf gefreut. Mittendrin mein Gatte, der überflüssigerweise auch noch am Herd rumhantiert, mit dem Wasserkessel hin- und herläuft und meine Herdplatten ausstellt. Ich stehe kurz vor dem Nervenzusammenbruch, ich könnte gerade ausflippen, ich lasse mich scheiden, ich wandere aus. Das Dumme ist, in Italien würden sie mich zur Zeit noch nichtmal reinlassen. Vielleicht über einen geheimen Bergpass wandern. Ich will meine Freiheit zurück! Im selben Moment die innerliche Korrektur, weil wir doch nur ahnen können, wie übel es sein muss, in einem wirklich unfreien Land zu leben. Also alles Klagen auf hohem Niveau, schlimmer geht es immer. Und selbst ein Nervenzusammenbruch ist immer noch besser als ein Holzbein.

Meinen italienischen Freunden geht es nicht anders. Wir schreiben uns fast jeden Tag. Sogar meine Handwerker erkundigen sich. Wahrscheinlich wollen sie sicher sein, dass mich der Virus nicht schon dahingerafft hat und ich ihre Rechnungen noch bezahlen kann. Nein, ich bin gemein. Wir planen schon Essen und Feste für die Zeit nach dieser Zeit und versorgen uns mit Durchhalteparolen und Rezepten. Unser junges Nachbarpärchen dort nimmt sich zum Beispiel jeden Tag etwas anderes vor. Einmal wird ein Beet gebaut, dann bepflanzt, die Wohnung umgebaut, ein Schrank gezimmert, auch mal einen Tag lang nur gekocht und so weiter. Das sollten wir vielleicht auch tun. Die Zeit nutzen, Dinge zubereiten, die uns guttun, Pläne machen und alles in Ordnung bringen bevor es mit dem Alltagsbetrieb weitergeht – der holt uns sicherlich bald wieder ein.

Übrigens werden die Strände demnächst – wenn auch mit Verspätung – für die Saison fit gemacht. Eine Regelung für die Verteilung der Menschenmassen gibt es zwar noch nicht, aber ich stelle mir die diesjährigen Bräunungskonturen (vor allem den großen weißen Fleck in den Gesichtern) doch recht avantgardistisch vor. Denn das Tragen der Masken ist dort in der Öffentlichkeit Pflicht.

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