Bolognese? Gibt`s hier nicht

Gelüste zu haben kann manchmal anstrengend sein. Vor allem, wenn sie nicht befriedigt werden und alle Gedanken um sich versammeln. Jede Schwangere weiß ein Lied von Essiggurken, Erdbeeren und Schokolade zu singen, aber auch Damen und Herren im unschwangeren Zustand haben ab und an Lust auf etwas bestimmtes. Als wir kürzlich in Ligurien waren, ist mein Mann beinahe verzweifelt. Innerlich war er auf Spaghetti bolognese fixiert, aber die gab es nir-gend-wo. Mit knurrenden Bäuchen sind wir von Lokal zu Lokal getapert, haben etliche Speisekarten studiert, die natürlich rauf und runter Fischgerichte anboten. Aber keine Bolognese.

Dabei sind Spaghetti bolognese ein Allerweltsgericht. Nur in Italien gibt es sie nicht. Und in Bologna schon gar nicht. Das ist schwer zu glauben, stimmt aber.

Was es jedoch gibt, ist eine öffentliche Diskussion über die Kultur der Bolognese. Immerhin! Die Italiener haben schließlich 1953 auch eine Akademie für die Pflege ihrer Kochkultur gegründet, die Accademia italiana della cucina, analog zur Académie Nationale de Cuisine der französischen Nachbarn. Nur bei uns gibt es wieder einmal keine Akademie, die sich dem Kochen von Knödeln und Kraut widmet. Kommt vielleicht noch.

Jedenfalls sind selbst die Italiener nicht immer die Schnellsten. Die Accademia hat es nämlich erst vor noch nicht einmal 40 Jahren geschafft, das „Ragù alla Bolognese“ in ihr Register einzutragen, um dessen Tradition endlich dort zu verankern, während die Hackfleischsauce zwischen Australien und Amerika schon längst über Nudeln, auf Pizzen oder in Enchiladas gekippt wurde. Aber der Institution für die Bewahrung der italienischen Kochkunst waren die diversen Varianten mit Nüssen, Zucchini und Ketchup dann doch sehr suspekt und wollte traditionelle Zutaten und Zubereitung vorsichtshalber lieber dokumentieren. Man weiß ja nie, was noch so kommt.

Bolognese steht also nur für den Ursprung der geschmorten Fleischsauce in Bologna, der Hauptstadt der norditalienischen Emilia Romagna, die berühmt für ihre gute Küche ist. Will man in Italien Bolognese essen, muss man nach Ragù suchen, sonst erntet der ignorante Tourist vom Kellner nur einen mitleidigen Blick: Bolognese?

Aber wo bleiben jetzt die Spaghetti? Die haben doch schon die Römer 100 v. Christus verspeist, und auch Marco Polo soll angeblich im 13. Jahrhundert welche aus China nach Venedig mitgebracht haben. Und überhaupt findet man in ganz Italien Spaghetti. Selbst in der Emilia Romagna.

Dazu muss man wissen, dass diese in früheren Zeiten eher die Teller der armen Landbevölkerung füllten, die sich Fleisch kaum leisten konnte. Der norditalienische vornehme Adel dagegen bevorzugte feinere Kost. An den Höfen der Herzöge in der Renaissance wurde Blätterteig hergestellt und Nudelteig nur mit Eiern, also Tagliatelle, Lasagne, Pappardelle, Tortellini. Und isst man Ragù, dann auch heute noch nur mit diesen breiten oder kurzen Nudeln. Niemals mit langen und dünnen Spaghetti. Die nehmen schließlich die Sauce nicht auf und wenn man sie auf die Gabel rollt, fällt das Ragout wieder auf den Teller zurück. Aber dem Ausländer fällt das wohl nicht auf. Schön doof.

Mein Mann wurde zum Glück doch noch in einem Restaurant fündig und hatte die Wahl zwischen einer Lasagne al ragù und Spaghetti al pesto. Und mein Sohn, der sich heute zum Geburtstag ein Essen wünschen durfte, verlangte nach… Spaghetti bolognese (natürlich vegetarisch). Meinen Antrag auf Tagliatelle konnte ich leider nicht durchbringen.

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