„Leider nicht witzig“

Zu den blödesten Maßnahmen bei Einladungen gehören Platzkärtchen. Bei gesellschaftlichen Events oder Hochzeiten meinetwegen. Und ein Chef will ja auf der Firmenfeier nicht plötzlich die Empfangsdame als Tischnachbarin haben, sondern sich mit seinesgleichen umgeben. Aber bei kleineren, privaten Festivitäten? Ich habe mindestens zwei Freundinnen, die ihren Gästen mit entsprechender Dekoration grundsätzlich die Plätze am Tisch zuweisen. Natürlich sind mir Sinn und Zweck klar, es sollen schließlich nicht immer die Pärchen zusammenglucken, sondern auch mal neue Konstellationen für inspirierende Gespräche zusammenfinden. Ein bißchen bevormundend finde ich diese Art des socializings trotzdem. Wenn man schon keine Einfluß auf die Gästeliste hat… Und unter den ganzen netten Menschen wird wohl immer einer sein, mit dem man nicht kann oder will.

Ich frage mich aber dennoch, warum dann ausgerechnet hier in Italien jedesmal einer jener (ich entschuldige mich für die Wortwahl) deutschen Blödmänner in meiner Nähe sitzen muss? Vorletztes Mal im Juli war das leider reines Pech. Da habe ich mir im Restaurant (ohne Platzkärtchen) einfach den falschen Platz gewählt, weil sich alle nur rumdrückten und warteten, bis einer den Anfang machte und durchrutschte. Das war dann ich, allerdings für den Rest des Abends gefangen in der Ecke. Dafür links von mir der Weißweinkühler, mein einziger Halt abgesehen von meinem Gatten rechts von mir. Mir gegenüber hat sich dann ein sterbenslangweiliger Finanzheini älteren Semesters hingepflanzt, der stundenlang uninteressantes Zeug über seinen Werdegang vor sich hin monologisierte. Hätte ich ihm doch wie beim Fußball nur eine rote Karte unter die Nase halten können. Kein Italiener mit in der Runde, wie öde (dafür ein sehr gut aussehender schräg dahinter am Nebentisch, wenigstens ein optischer Trost). Ich war froh, als ich wieder zuhause war.

Und dann am Wochenende die Geburtstagsfeier eines Freundes. Eine lange Tafel, aufgebaut auf dem Kirchplatz unter Bäumen, das Menü von einem unserer Lieblingsrestaurants, abends im September immer noch 25° C draussen, eine bunte Mischung von Menschen auch jüngeren Alters, italienischer, deutscher, holländischer und spanischer Provenienz, alle Sprachen bunt durcheinander, alles wunderbar. Die Wäscheklammern an den Servietten mit den Namen drauf hatte ich zu spät entdeckt. Sonst hätte ich versucht, noch korrigierend einzugreifen (ich finde das durchaus legitim). Jeder Knigge-Ratgeber erwähnt nämlich, dass die gezielte Platzierung von Personen vor allem dadurch zum Erfolg eines Abends beiträgt, dass sich diese wohl fühlen.

Dabei hatte ich diesen fürchterlichen Typen (ein deutscher Zeitgenosse mit politisch sehr verqueren Ansichten) schon vorher auf der Straße laufen sehen und sogleich ignoriert, als ich mit unserer Vespa angetuckert kam (übrigens die beste Art, den frischen Nagellack gefahrlos trocknen zu lassen). Ich überlegte sogar noch ganz kurz, ob er rein zufällig auch in dem Lokal mit seiner Frau essen ging? Leider war er aber einer der Gäste. Der Supergau kam dann. Denn nachdem alle ihre Apérol Spritz eingesogen und sich an ihre Tischplätze begeben hatten, saß diese Kreatur plötzlich neben mir. Meine Laune sank kurzzeitig auf ein Tagestief, ich würde sagen deutlich unter Null.

Er wollte dann sogleich auch zum Smalltalk mit mir anheben, den ich ganz undiplomatisch und direkt abwürgte. Dann wurde schon die erste Vorspeise serviert, ein Vitello Tonnato, das mir versehentlich auch hingestellt wurde. Daraufhin seine Frage: „Und wie lange verzichten Sie schon auf Fleisch?“ (immerhin traute sich dieser Hinterwäldler nicht, mich zu duzen). Aber allein seine Formulierung brachte mich auf die Palme (ich habe mir natürlich nichts anmerken lassen und mir gleichzeitig vorgenommen, wieder mehr Yoga zu machen für meine innere Balance). Ich lächelte mitleidig: „Ich verzichte nicht, wenn ich keine Leichenteile esse“ (diese Formulierung benutze ich wirklich nur im äußersten Notfall). „Im Gegenteil. Und das seit 43 Jahren“. Er versuchte einen neuen Anlauf: „Ich bin auch Vegetarier. Second-Hand-Vegetarier“. Ich: „Aha. Und was mag das wohl sein?“ Er: „Die Kuh frisst das Gras und ich die Kuh. Hahaha…“. Ich lächelte wieder nur: „Finde ich leider nicht witzig“. Er völlig irritiert und verständnislos: „Nein?“ Danach hatte ich endlich Ruhe und glücklicherweise ein paar andere, wirklich sympathische Gesprächspartner um mich herum. Als einer, der sich fremden Sprachen verwehrt, konnte er uns leider nicht folgen. Wir amüsierten uns jedenfalls noch stundenlang ohne ihn weiter, ganz im Sinne von Knigge.

Mein Mann, der im Jahr zuvor auch schonmal das Vergnügen hatte, zugewiesener Tischnachbar jener Person zu sein, und dem ich am nächsten Tag am Telefon von dem Abendessen erzählte, meinte nur, dass der Typ bestimmt einen „wunderbaren Abend“ an meiner Seite gehabt hatte und ihm eigentlich noch nicht einmal Leid tue. Insofern haben die Platzkärtchen vielleicht doch ihren Sinn erfüllt.

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