Monster aus Gläsern

Vorräte haben die unangenehme Eigenschaft, im Schrank unwillkürlich nach hinten und in der Tiefkühltruhe nach unten zu wandern, um dort ein vergessenes Dasein zu fristen, bis sie sich dann während des Frühjahrsputzes beim Ausräumen des Schranks wieder schüchtern melden. Je nachdem, um wie viele Frühlinge der Putz verschoben wurde, desto trauriger ihr Zustand. Doch anstatt sich ihrer endlich anzunehmen, verdrängt man sie noch eine weitere Saison und nichts wird besser.

Da steht sie also nun, eine Kompanie an unansehnlich gewordenen Weck-Gläsern. Was um alles in der Welt hat mich geritten, so viele Gurken, Pfirsiche und Rote Bete einzukochen? Wollte irgendwer wieder schwanger werden? Oder waren so viele Raclette-Abende geplant? Lecker waren sie ja – in frischem Zustand. Aber jetzt sind sie, so hart das klingt, leider nur noch eins: gut für die Tonne. Dieser Gedanke widerstrebt mir zutiefst.

Schlaff und traurig blicken sie mich an. Ich scheue mich davor, die verstaubten Gläser, deren Etiketten sich langsam lösen, zu öffnen, obwohl ich mich ja schließlich nur von deren Inhalt trennen möchte. Vielleicht hätten die Würmer im Kompost noch ihre Freude daran?

Doch vor meinem inneren Auge erwachen die leblosen Früchte beim Öffnen des Deckels zu Leben, zu kleinen Monstern, die sich unkontrollierbar in Bewegung setzen, endlich befreit aus ihrem gläsernen Gefängnis, um es mir heimzuzahlen. Ich schüttele den Gedanken schnell ab. Ach, Schluss mit dem Unsinn! Hier regt sich doch nur mein superschlechtes Gewissen.

Für eine Ausrede reicht das nicht, doch in anderen Küchenschränken sieht es auch nicht besser aus. Dort stapeln sich Ravioli-Dosen, eingelegte Heringsfilets und Würstchengläser aus den 70er Jahren. Kein Scherz. Ich habe das selbst gesehen und flüstere hinter vorgehaltener Hand nur: „Auweia!“. Die Schnäppchen der Discounter, die man sich nicht entgehen lassen wollte, konservierte, mediterrane Spezialitäten, die zwar schon mehr als lange überfällig sind, aber immer noch auf Verzehr warten. Berichtet wurde mir auch von einer gigantischen Sammlung bereits grau angelaufener Schnapspralinen, mit der man zu einem früheren Zeitpunkt einen ganzen Strassenzug hätte beglücken können. Sich von belebten Packungen zu trennen, die als Kinderstube für Motten und Minimaden dienen, geht dagegen viel einfacher von der Hand. Mülleimer auf, zack, bumm, weg.

Lieber wieder zurück zum Garten. Der stellt einen schließlich regelmäßig vor die Herausforderung, auf einen Schlag mit zehn Kilo Quitten oder Äpfeln zurecht zu kommen. Oder mit der Frage, was mit den drei Kilo Johannisbeeren geschehen soll? Oder den acht auf einmal geernteten Zucchini? Eigentlich gibt es hierfür nur eine sinnvolle Lösung. Was man nicht gleich essen kann, wird eingefroren und eingekocht. Alles, was über fünf Gläser hinausgeht, wird verschenkt. Am besten mit der Bitte um baldige Rückgabe der Gläser. Dann weiß man zumindest, dass sie im fremden Schrank nicht nach hinten gewandert sind.

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