SM für die Zunge

Ich will nichts für meinen Stoffwechsel tun, ich habe Hunger!“, blubberte mich mein Sohn an. Normalerweise macht er das natürlich nicht, aber er kam schon schlecht gelaunt aus der Schule, Blutzuckerspiegel auf unter null, und freute sich auf das duftende, dampfende Curry vor ihm. Ich gebe zu, es war scharf. Schärfer als sonst, aber auch wieder nicht so, dass man Kreislaufkollaps, Herzrasen und Schweißausbruch bekäme. Vielleicht ein bisschen Naselaufen, doch das muss schon mal drin sein. Es war schließlich nicht beabsichtigt. Ich koche für die sensiblen, zartbesaiteten Kinderzungen in der Regel sowieso deutlich unter meinem Schärfeempfinden.

Leider sind sie in dieser Stimmung dann nicht mehr empfänglich für meine tröstenden Worte („Wer scharf isst, lebt länger“, „Scharfes Essen macht schlank“), wenn die Nase dann tatsächlich tropft. Und mit den Argumenten, dass Chilis antioxidativ und entzündungshemmend wirken können, gesund für Herz und Kreislauf sind, Hautkrankheiten und Muskelschmerzen entgegenwirken oder gar aphrodisierend sein sollen, muss ich erst gar nicht aufwarten.

Ich weiß gar nicht mehr, wo ich die frischen Chilis gekauft hatte, denn die aus dem Bioladen sind verlässlich mittelscharf, oder ob mein Händler plötzlich andere im Sortiment oder ich mich im Supermarkt im Karton vergriffen hatte. Ich weiß nur, dass man die Dinger im Laden ja schlecht probieren kann. Auch Größe oder Farbe sagen nicht unbedingt etwas über den Schärfegrad aus. Noch nicht einmal auf die Aufschrift von Verpackungen ist Verlass, wie etwa bei den „Feuerspitzen“, die als feurig-scharf beschrieben wurden, sich dann aber als echt lasch entpuppten. Jalapeño, Habanero, Peperoni, Birdeye… welche hatte nochmal den hohen Schärfegrad? Ich merke mir das nicht. Es bleibt ein Chilirestrisiko.

Meine Mutter hat mir mal eine harmlos aussehende Knubbelschote geschickt. Ich hatte sie noch nicht einmal richtig berührt, da waren meine Finger schon mit dem Scharfmacher kontaminiert und meine Nase brannte wie Hölle. Was tun? Wegwerfen ist blöd. Vielleicht Hot Honey herstellen? Leider hatte sie auch in Sekundenbruchteilen meinen Honig verseucht. Etliche Stunden später dann, – die Schote war vergessen – nahm ich mir die Kontaktlinsen heraus. Ich dachte, ich erblinde und sah aus, als hätte ich eine extreme Ausprägung von Bindehautentzündung oder dreimal hintereinander Spielbergs „Gefährten“ geschaut.

Bleibt die Frage, warum manche Menschen bei diesem ganzen Leid dennoch geradezu süchtig sind nach scharfen Gerichten. Die Antwort ist einfach: Scharf macht glücklich, ja richtiggehend high. Scharf ist kein Geschmacksempfinden, sondern in Wahrheit ein Schmerzempfinden, ein Feueralarm im Körper. Die Rezeptoren bewirken, dass Endorphine ausgeschüttet werden und lösen ein Glücksgefühl aus. SM für die Zunge sozusagen.

Sauer macht lustig und scharf macht sauer, zumindest unsere schlecht gelaunten Pubertiere, die so gerne schon erwachsen wären. Scharf macht eben nur wirklich Erwachsene glücklich.

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Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Jesse Gabriel sagt:

    Toller Bericht, wo ist das Rezept den ich liebe es scharf natürlich auch nicht bis der Schluckauf kommt aber ein wenig Schweis und Naselaufen durfen es schon sein.
    Viele Grüße sendet
    Jesse-Gabriel

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