Wahnsinn, Hysterie und Teufelszeug


Da hat uns Kolumbus mit seinen Tomaten ganz schön was eingebrockt. Heute leidet die Harmonie mancher Ehe ernsthaft unter der Auseinandersetzung, ob im Garten nun ein Carport oder doch lieber ein Gewächshaus aufgestellt werden soll, es drohen Partnerschaften zu zerbrechen, weil die Schwarze Sarah, die Gelbe aus Bayern oder der Lange Erwin mehr gestreichelt werden als der Partner, und es wird die ein oder andere Jahres-Urlaubsplanung diktiert von Anzucht- und Ernteterminen des roten Gemüses. Ab Februar stehen Fensterbänke voll mit kleinen Töpfen, in denen aus winzigen Kernchen Pflanzen empor sprießen, die dann etwas später ins kühle Schlafzimmer umziehen, das dann für ein, zwei Monate zur Aufzuchtstation umfunktioniert wird. Besonders erotisch ist das nicht, man gewöhnt sich aber daran.

Dabei gibt es durchaus gute Gründe, alte Tomatensorten selber zu ziehen: Es gibt sie in dieser Vielfalt nirgends zu kaufen, sie beschenken einen von Juli bis Oktober mit wunderbaren, wohlschmeckenden Früchte und machen mit ihren vielen Antioxidantien auch noch schön. Was will man mehr? Die Tomate braucht eben ein Dach über dem Kopf, ein Auto nicht.

Jemand, der seinen Einkaufswagen gemütlich durch Edeka oder Aldi schiebt, wird diese Tomatenhysterie wohl kaum verstehen. Im Laden gibt es doch alles, was man braucht: je eine Sorte Fleischtomaten, Strauchtomaten, Salat- und Cocktailtomaten, die Früchte sehen makellos aus und werden auch immer bunter. Sommers wie winters das gleiche Angebot, wozu also der ganze Stress?

Kolumbus hätte sich wohl nie träumen lassen, dass sein Mitbringsel zu einem Superstar unter den Gemüsen weltweit avancieren würde. Selbst die Chinesen mischen mit. Dort werden etwa ein Drittel aller Tomaten weltweit produziert und weiterverarbeitet, um schließlich als italienisches Produkt in unseren Regalen zu landen. 

Auch die europäischen Paradiesfrüchte gehen gerne auf Reise, zum Beispiel nach Afrika, wo ihre Dumpingpreise den dortigen Bauern das Leben schwer machen. Echter Tomatenwahnsinn, made in EU. Fanatische Salafisten warnen übrigens schon länger davor, Tomaten überhaupt anzufassen oder sie gar quer aufzuschneiden, denn sie enthalten dort in ihrer Mitte ein christliches Symbol, das Kreuz. Alles Teufelszeug.

Aber Wahnsinn hin, Hysterie her. Bevor der Streit um Gewächshaus oder Carport zu eskalieren droht, sollte eventuell über einen kleinen Strategiewechsel nachgedacht werden. Man fängt mit einem kleinen, selbstgebauten Provisorium an, fixt seine Lieben in der nächsten Saison mit Lady Aireen Sweetie Pie, Black Plum und Yellow Submarine an, tischt dann den zwischenzeitlich verwöhnten Gaumen zur Abwechslung eine ordinäre holländische, wässrige Strauchtomate auf („Bäh! Wie schmeckt denn die?“) und untermalt das Essen mit dem schlechtesten Film aller Zeiten, dem „ Angriff der Killer-Tomaten“. Es wird Protestschreie, Petitionen und Abbitten hageln. Ein Platz fürs Gewächshaus findet sich dann vielleicht doch. Vielleicht hinter dem Carport.

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