Entbeerung

Hat schon einmal jemand zugegeben, dass man sich von den Früchten seiner Ernte auch verfolgt fühlen kann?

Ich öffne den Schrank in der Küche – ein Bataillon von Marmeladegläsern blickt mich erwartungsvoll an, gefüllt mit Cassisgelee, Brombeergelee und Aronia. Alle bestens gehütet, um an besonderen Tagen auf dem Hefezopf zu landen.

Ich öffne die Schublade meines Gefrierschranks – zugeknotete Tüten, gefüllt mit Stachelbeeren, Heidelbeeren, Jostabeeren warten darauf, um sich in der beerenfreien Zeit triumphierend zur Verfügung zu stellen.

Ich gehe in die Garten – dort stehen Himbeersträucher, Brombeerbüsche, Johannisbeeren und Stachelbeerstauden und recken ihre dürren braunen Stängel vorwurfsvoll in den Himmel. Sie warten auf eine längst überfälligen Pflegeschnitt und frische Nahrung für die nächste reiche Ernte.

Und genau das ist das Problem. Die neue Saison kündigt sich an, während die alte noch gar nicht verdaut ist. Der Überfluss während der Erntezeit lässt uns den ersten Johannisbeerkuchen mit Baiserhaube genießen, der Rest wandert ins Glas und ins Eis und harrt der Dinge.

Nun ist es so, dass man in der sogenannten entbehrungsreichen Zeit in Wirklichkeit gar nichts entbehrt. Wir werden schließlich versorgt mit – sagen wir mal – Zitrusfrüchten, die dann zu Orangenmarmelade verarbeitet werden. Die schmeckt auch das ganze Jahr über wunderbar. Wenn man aber ehrlich ist, frisch am besten.

So sollte ich es auch mit den Beeren halten. Schneller verbrauchen und dann monatelang entbehren und die Vorfreude beim Anblick der spießenden Sträucher geniessen – anstatt gestresst zu sein. Die nächste Maßnahme heißt: Gefrierfächer leeren.

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