Imbiss im Lavastrom

Wenn in Hamburg um die Mittagszeit ein Vulkan ausbrechen und Lava die ganze Innenstadt unter sich begraben würde, dann könnten in etwa 2000 Jahren Archäologen das Untergeschoss der Europapassage entdecken und dort auf einen Imbissstand nach dem anderen stoßen, man würde feststellen, dass es sich um eine gut besuchte Essmeile handelte und vielleicht könnten auch noch Kochstellen, Töpfe und Werbeschilder geborgen werden, die Rückschlüsse auf deren Inhalte ermöglichten. Also ähnlich wie in Pompeji, wo gerade noch ein schönes, gut erhaltenes Fresko eines opulenten Mahls freigelegt wurde. Archäologen dachten, sie hätten darauf die erste abgebildete Pizza entdeckt, nur dass es 79 nach Christus in Italien weder Tomaten noch Mozzarella gab. Also hat man sich auf eine Focaccia mit Granatapfel und Datteln geeinigt.

Ähnlich wie in der Europapassage, gab es auch in den Gaststätten des Römischen Reichs lange Tresen, an denen das Essen gekocht und ausgegeben wurde. Daneben dann Zimmer mit Sitz- oder Liegegelegenheiten unter erotischen Fresken, wo sich die Herren stärken konnten und allein Vergnügungsdamen der Zugang erlaubt war. Den Rest kann man sich denken. Während die besten Köche damals als Sklaven oder Angestellte in den Privathaushalten reicher Familien lebten, wurden die Garküchen meistens von unfähigen Köchen geführt. Also nichts für anspruchsvolle Esser.

Wir können uns mittags in unseren Innenstädten entscheiden zwischen stylischen Salat-Bars, können für eine gepflegte Pho zum Streetfood-Vietnamesen gehen, auf die Faust einen schnellen Burger, Falafel, Döner oder eine Pizzaecke knabbern, oder als gesundheitsbewusster Mensch einen Smoothie oder eine Poké Bowl verzehren. Es gibt für jeden etwas, vorausgesetzt, man hat das nötige Kleingeld, sonst reicht es leider nur für ein trockenes Körnerbrötchen beim Bäcker. Einfacher ist es, wenn man ein Geschäftsessen hat, da kann man ein gehobeneres Restaurant ansteuern, muss noch nicht einmal selber zahlen und braucht sich auch nicht zu ärgern, wenn das Ratatouille-Risotto zwar nicht schlecht geschmeckt, aber dennoch keine kulinarische Offenbarung war. Wie so oft in Gaststätten.

Zweifellos dient heute wie damals die mittägliche Essensaufnahme in erster Linie der Energiezufuhr und ist weniger dem Genuss per se geschuldet. Gründe, ein Restaurant aufzusuchen, gibt es dennoch reichlich. Zum Beispiel, wenn man zum Kochen zu faul ist, der Gatte die Liebste einfach mal „entlasten“ möchte oder den Hochzeitstag vergessen hat. Ich kenne auch jemanden, der eine bestimmte Pizzeria in Italien nicht nur wegen ihrer guten Pizza gerne aufsucht, sondern auch wegen der temperamentvollen Bedienung, die dort in Netzstrümpfen, Highheels und Minirock um die Tische fegt (erotische Fresken gibt es keine an den Wänden, und es speisen alle im Sitzen). Erlebnisgastronomie, Showcooking und gläserne Küche liegen ebenfalls im Trend, machen die Rechnung aber nicht billiger. Daneben gibt es für Leute, denen das wichtig ist, noch das Modell „sehen und gesehen werden“ in der Edel-Osteria.

Es ist schon so: Selber kochen schmeckt meistens am besten. Macht man das ausnahmsweise nicht, trifft man sich eben abends mit Freunden gemütlich beim Italiener um die Ecke. Steigern lässt sich das Ganze durch eine schöne Location, bestenfalls an einem lauen Sommerabend draußen, noch besser direkt am Wasser, oder gar am Meer, und einem leidenschaftlichen, begabten Koch oder Köchin, dem oder der es Freude macht, ein wirklich gutes Mahl zuzubereiten und wo man selber Anregung findet. Meistens sind das Familienbetriebe mit einer überschaubaren, aber feinen Karte, die auch gerne vegetarisch kochen und nicht die immer gleichen Gerichte anbieten. Bedauerlicherweise werden die immer weniger, allein drei meiner Lieblingslokale haben in den letzten Jahren zugemacht. Neue zu finden ist schwierig, aber es gibt sie, in Deutschland wie in Italien. Also nicht verzagen. Das ist ein bisschen wie die Suche nach einem Trüffel – oder einem schönen Fresko im Lavastrom.

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