Ab in den Fleischwolf!

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Rehe und Hasen sind Schweine. Ich verabscheue sie, ich könnte sie erwürgen, vierteilen, durch den Fleischwolf drehen. Sie wecken in mir Gefühle, die ich so nicht von mir kenne, treiben mich in einen emotionalen Grenzbereich. Vor allem das Reh. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ich habe eigentlich nichts gegen Tiere. Ich esse sie nicht einmal. Ich unterstütze Peta. Aber Rehe können mir nun wirklich gestohlen bleiben. Sie verdienen nicht das kleinste bisschen Mitleid.

Kürzlich haben sie meinen ganzen Himbeergarten k-o-m-p-l-e-t-t, inklusive der historischen Rose und bis auf das allerletzte Blatt vernichtet. Dabei hatte ich mich so über dieses kleine, hübsche, geborgene Stück Garten gefreut. Im Frühling angelegt, mit Kastanienzaun gegen Wildtiere wie diese eingezäunt und mit schwer angeschlagenen Pflanzen aus den Vorjahren sowie ein paar neuen als Verstärkung bestückt, mit Pferdemist gedüngt, gemulcht und ihnen gutes Gedeihen gewünscht. Sie haben sich sichtlich wohlgefühlt, wurden grün, gesund und üppig, die ersten Beerenstände waren sichtbar. Dann der Schock. Eines Nachts kam dieses Miststück und hat alles ratzekahl zunichte gemacht. Und wie zum Hohn hat es noch drei Beeren hängen lassen. Ich kann das Gefühl beim Anblick der desolaten Himbeerskelette kaum beschreiben, eine Mischung aus kochender Wut, Enttäuschung und Trauer.

Dabei bin ich einiges an fresssüchtigen Bestien gewohnt. Nicht nur das Reh, das sich gerne über meine Zäune hinwegsetzt und selbst Turnübungen auf meinem Hochbeet veranstaltet, Schnecken, Vögel, Raupen, Mäuse, Hasen, alle missbrauchen sie meinen Garten als Gourmetparadies. Jetzt, wo ich gerade diese Zeilen schreibe, sitzt der Feldhase zwanzig Meter von mir entfernt in der Dämmerung im Gras, ein schönes großes Tier mit langen Ohren, flauschigem Fell und Kulleraugen. Darf man ihm böse sein? Letztes Jahr war er im Garten nebenan und hat sämtliche Erdbeeren abrasiert. Dieses Jahr waren meine dran, auch der junge Kohlrabi und die italienischen Puntarelle. Wohl ein Feinschmecker. Leider.

Genau deshalb muss ich am Rande auch alle Hundebesitzer eindringlich davor warnen, Hunde in der Küche mit Gemüse zu füttern, dann kommen sie nämlich erst auf den Geschmack. Und bitte schon gar nicht bei der Ernte von Salatköpfen, Gurken, Kartoffeln und Grünkohl zuschauen zu lassen. Sperren Sie sie weg! Am besten in den Keller. Die machen das dann nämlich aus eigenem Antrieb nach, weil sie denken, das soll so sein, vor allem wenn sie Hunger haben und Frauchen macht das ja auch. Das wird enden wie bei uns: Frauchen rennt wie von der Tarantel gestochen mit dem Rechen in der Hand und wüste Flüche ausstossend hinter dem Hund her, der mit dem schönen Eisbergsalat inklusive Wurzel im Maul versucht zu fliehen und gleichzeitig das Grünzeug zu verschlingen.

Leben im Einklang mit der Natur ist ein romantischer Gedanke und wird vermutlich vor allem von Menschen ohne eigenen Gemüse- oder Blumengarten gehegt. Auch die Frage, wer zuerst da war, führt hier nicht weiter. Es gibt sogar Veganer, die auf Facebook amateurhafte Fotos von schleimigen, schwarzen Nacktschnecken in Makro veröffentlichen und sie allen Ernstes damit kommentieren, wie man die Schönheit dieser Tiere nicht erkennen könne. Wahrscheinlich habe ich es mit den Augen. Aber schon Goethe hat gesehen, dass Natur „manches Unbequem zwischen ihre schönsten Gaben ausgestreut (hat)“. Der Biogärtner hat es von allen am schwersten, er versucht, dieses Unbequem sanft zu bekämpfen. Er geht nachts mit Spaten und Taschenlampe bewaffnet in den Garten, um den Weichtieren mit einem gezielten Durchstich den Garaus zu machen. Wäre mir persönlich zu eklig.

Etwas zu kultivieren heißt immer, gegen die Natur zu arbeiten, egal ob bio oder nicht. Natur ist wild und hungrig, kennt keine Begrenzungen, keine Beetränder, keinen Respekt vor jungen Rote Bete-Pflänzchen oder zarten Zuckerschoten, sondern verschlingt sie mit Begeisterung. Natur und Gärtner sind natürliche Feinde. Wenn die Natur könnte wie sie wollte, würde sie uns überwuchern und verschlingen. Wie in der gruseligen Erzählung „Der Schneckenforscher“ von Patricia Highsmith.

Die perfekte VogelscheucheNicht umsonst offerieren Baumärkte ein riesiges Arsenal an allen erdenklichen Maßnahmen gegen natürliches Dasein, an Giften, Fallen, Abschreckgeräten. Meine Freundin hat eine wunderschöne Vogelscheuche errichtet. Die Stare und Rehe lachen sich kaputt. Dagegen sieht mein Garten aus, als wäre Cristo auf einen Sprung bei mir vorbeigekommen und hätte Bäume, Töpfe, Beete zugehängt. Nicht wie vor vielen Jahren den Berliner Reichstag in Silbertuch, sondern zeitgemäß mit grünen Netzen. Eine Art Skulpturengarten, auf dem mein Auge mit einer gewissen Genugtuung ruht, ich gebe es zu. Zitronenfalter wollen Eier auf meinen Grün- und Palmkohl ablegen? Keine Chance. Die Amsel will die Heidelbeeren pflücken? So einfach geht das jetzt nicht mehr.

Wie geht man also mit Natur um? Verluste hinnehmen, immer wieder von vorne anfangen, Wege der Koexistenz finden. Das ist mühsam. Lernen, dass wir selbst in unserem Garten nicht das letzte Wort haben und nicht die Herren sind. Die Zuwanderung von Rehen akzeptieren und das ganz ohne Asylantrag.

Ich habe sogar kürzlich den Jäger angerufen. Nicht, wie man jetzt meinen könnte, um das Reh endlich per Blattschuss loszuwerden, sondern weil es plötzlich weg war und seine beiden Kitze hier alleine, hungrig und laut jammernd rumgestiefelt sind. Ein bisschen Mitleid hatte ich dann doch. Der Jäger hat zum Thema Wildfraß übrigens einen völlig anderen Ansatz: „Pflanzen Sie einfach mehr Rosen, denn Rehe sind Feinschmecker. Ein paar werden vielleicht übrig bleiben“. Aus dem Gedanken spricht entweder Eigennutz oder der Mann hat keine Ahnung. Nein, ich habe meine Rosen schon letzten Herbst aus dem Beet in Kübel verpflanzt und sie auf meine Terrasse gestellt. Nach Jahren sehe ich sie endlich blühen.

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