Geistreich: „Meine zweite Natur“ von Michael Pollan

„Täglich grüßt das Ungetier“

Was passiert, wenn ein Städter aufs Land zieht und sich aus einem Stück Gelände einen Garten schaufelt? Ja, er fällt erstmal auf die Nase. Und zwar nicht nur, weil ihm Unkraut und Murmeltiere einen Strich durch die Rechnung machen, sondern weil er sein Verhältnis zur Natur gänzlich neu überdenken und sortieren muss


So erging es auch Michael Pollan, amerikanischer Journalist, Bestsellerautor („Lebens-Mittel: Eine Verteidigung gegen die industrielle Nahrung und den Diätenwahn“) und Professor für Wissenschafts- und Umweltjournalismus an der University of California in Berkeley. Welche gesellschaftlichen Phänomene, Auswirkungen und Konsequenzen es birgt, wenn man Land bearbeitet, darum geht es in seinem sehr geistreichen, essayistisch geschriebenem Buch.

Natur hat die Tendenz, vom Menschen kultiviertes Land zu fressen und zu absorbieren. Diese Erfahrung macht jeder Gartenneuling und jeder Gärtner und stellt ihn vor die entscheidende Frage, wie er mit Natur umgehen, ob er sie beherrschen oder dulden will. Sobald er die Erde aufbricht, machen sich auch Unkrautsamen und damit unliebsame Gewächse über sie her. Ein Eingreifen des Menschen ist also unabdingbar. Ebenso müssen hungrige Tiere und Schädlinge  von den Beeten ferngehalten werden, um die Frusttoleranz des Gärtners nicht überzustrapazieren.

Selbst das Rasenmähen entspringt dem tiefen menschlichen Bedürfnis nach Beherrschung der Natur. Pollan stellt fest, dass die Rasenflächen in den amerikanischen Vorgärten, die adrett, gepflegt und zaunlos die Gartenlandschaft der Vorstädte bilden, dabei vor allem dem Selbstbild der Gemeinschaft Rechnung tragen. Wir Europäer kennen sie – wenn man noch nicht selbst vor Ort war – aus zahlreichen amerikanischen Filmen. Sie sind zumindest vordergründig das kollektive Gesicht einer demokratischen Gemeinschaft, Symbol für einen amerikanischen Lebensstil, bei dem Zäune und Hecken keinesfalls infrage kommen, sondern als Zeichen der Distanzierung gelesen werden und somit als unsozial gelten. Ganz anders als bei uns Europäern, wo der Rückzug ins Private wichtig ist.

Gärten können also eine zusätzliche Bedeutungsebene vermitteln, die mit gesellschaftlichen und sogar politischen Fragen zu tun hat. Nun hat sich allerdings in den letzten Jahrzehnten in den USA auch eine Naturalisten-Bewegung etabliert, angefangen bei Henry D. Thoreau („Walden oder Leben in den Wäldern„), die sich mit ihrer Wildnis-Ethik jeglicher Unterwerfung der Natur durch menschliche, freiheitsberaubende Einwirkungen und Kultivierungsversuche entgegenstellt. Hoch lebe das Unkraut!

Doch jeder Gärtner weiß, ein wilder, ungepflegter Garten ist nicht gleichzusetzen mit einem natürlichen Garten. Mensch und Natur haben unterschiedliche Bestrebungen. Michael Pollen veranschaulicht das sehr schön am Beispiel von Cathedral Pines, einem nationalen Naturdenkmal, das aus einem riesigen Weymouthskiefernwald in Neuengland besteht und in den letzten 200 Jahren nicht mehr angetastet wurde. Leider hatte ein Tornado in dem Wald wüste Spuren hinterlassen und unter den Vertretern der Wildnis-Ethik und den Anwohnern eine heftige Debatte ausgelöst. Die Umweltpuristen wollten den zerstörten Wald sich selbst überlassen, was aber bedeutete, dass sich der Charakter des Waldes grundlegend verändern würde. Sämlinge von Laubbäumen und anderen Pflanzen würden sich einnisten und dem Naturdenkmal mit der Zeit ein anderes Gesicht geben. Nun begann der Streit, ob man dieses Naturdenkmal aufgeben oder den alten Wald sozusagen künstlich wiederherstellen sollte, ob die umgefallenen Bäume wirtschaftlich genutzt werden dürften oder man ihren unästhetischen Anblick ertragen müsse usw. Eine typische umweltpolitische Auseinandersetzung wie sie auch bei uns allenthalben stattfindet, bei der es keine Kompromisse zu geben scheint, nur ein Entweder-Oder.

Wie ist also mit der Natur umzugehen? Pollan tröstet sich mit dem Gedanken, dass Natur uns in irgendeiner Form überleben wird, egal was wir mit ihr machen oder wie rücksichtslos wir mit ihr verfahren. Gerade deshalb sollte man Kultur und Natur nicht als unvereinbare Gegensätze begreifen, sondern unser Schaffen als integralen Bestandteil ihrer Veränderung betrachten.

Es geht in dem Band also weniger um „das Glück, ein Gärtner zu sein“, wie der Untertitel der deutschen Buchausgabe suggeriert, sondern wie im Original um die „Gardener´s Education“, eine (Um-)Erziehung des Gärtners durch die Natur. Ein, wie ich finde zumindest in Europa nicht besonders neues Sujet, bedenkt man, dass sich unsere Garten- und Landschaftsarchitekten schon seit zweihundert Jahren daran abarbeiten. Trotzdem ist das Buch lesenswert, es ist unterhaltsam geschrieben und die kulturhistorischen Überlegungen sind lehrreich, weil sie einen ungewohnten Blick auf den amerikanischen Kontinent werfen.

Michael Pollan, „Meine zweite Natur. Vom Glück, ein Gärtner zu sein.“ Oekom Verlag, München, 2014.

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  1. Luise sagt:

    Wie schön, hier auch noch Literaturtipps zu finden – das Buch kommt auf meine Wunschliste.

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