Interview: „Gefährliche Abhängigkeiten von der Industrie“

Der besondere Reiz, eigenes Gemüse biologisch anzubauen, liegt vor allem in der hervorragenden Qualität und Frische, die man erzielt und die man natürlich schmeckt. Ganz abgesehen davon weiß man, woher die Zucchini kommen und auf welchem Mist die Hokkaidos gewachsen sind. Doch für welche Bohnen, Tomaten oder Salate soll man sich entscheiden? Bau- und Gartenmärkte bieten vorrangig Saatgut einiger weniger, etablierter Hersteller an. Saatgut, das zwar nicht gentechnisch verändert wurde, aber dennoch in der Regel auf Hybrid-Sorten getrimmt ist, unterliegt dem Sortenschutz  und ist damit an eine kostenpflichtige Lizenz des Züchters gebunden.

Hybrid-Sorten sind, im Gegensatz zu den alten Landsorten, nicht samenfest, das heißt, man kann aus Ihnen kein gleichwertiges Saatgut gewinnen. Dabei sind die  alten Kulturpflanzen einer Region optimal an die jeweiligen Standortverhältnisse und Umweltbedingungen angepasst. Sie verfügen über einen viel breiteren Genpool als die Hybriden und damit über mehr genetisches Potential. Aus ihnen resultiert die Vielfalt von Sorten.

Saatgutproduzenten wie Bingenheimer Saatgut, ReinSaat, Sativa Rheinau und Dreschflegel widmen sich dem Erhalt und der Vermehrung biologischen Saatguts und der alten Sorten. Auch Initiativen wie Arche Noah, pro specie rara und der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt versuchen vor dem Aussterben bedrohte Gemüse- und Obstsorten zu bewahren.

Von den „Dreschflegels“, einem Zusammenschluss mehrerer GärtnerInnen-Höfe, habe ich erfahren, warum ihre Arbeit so wichtig ist.


Schaugarten Schönhagen, (C) Dreschflegel GbR + Kuhmuhne e.V.

Die Vielfalt der Kulturpflanzen erhalten

Mit euch einen Interviewtermin zu vereinbaren, ist ja gar nicht so leicht. Dabei dachte ich, gerade jetzt zu Anfang des Jahres sei ein guter Zeitpunkt. Die Böden ruhen ja noch. Womit habt ihr schon jetzt alle Hände voll zu tun?
Die Böden ruhen, aber wir nicht 😉 . In Witzenhausen begann am 2. Januar der Versand. Bis Ende März ist die Hauptversandzeit, in der der größte Teil des Jahresumsatzes eingenommen wird. Auf den Dreschflegel-Betrieben wird weiter Saatgut eingetütet und nachgeliefert, die Anbauplanung 2017 wird erstellt und das mehrtägige Dreschflegel GbR-Treffen findet in diesem Zeitraum statt.

Bei euch findet man Saatgut von Sorten wie Braunkohl „Rote Palme“, der violetten Rosenkohlsorte „Rubine“, einer wunderschönen Auberginensorte mit weißen, eigleichen Früchten, von Schlangenzucchini und Erdmandeln… Worin unterscheidet es sich von dem Saatgut, das man normalerweise in Bau- und Gartenmärkten findet?
Wir legen viel Wert auf Sortenvielfalt und den Erhalt alter Sorten, daher findet man auch Sorten mit besonderen beziehungsweise verschiedenen Farben, Formen, Eigenschaften und Verwendungszwecken bei uns.

Wie gewinnt ihr euer Saatgut?
Das Dreschflegel-Saatgut wird auf 15 verschiedenen Höfen in Deutschland angebaut, geerntet, gereinigt und in Tüten abgefüllt.

Was ist so schlecht an Hybrid-Sorten? Für den Verbraucher ist ihre gepriesene Krankheitenresistenz doch ein guter Anreiz für den Kauf…
Zum einen können Hybriden nur in gut ausgestatteten Laboren hergestellt werden. Die angebliche Widerstandsfähigkeit beruht auf immer neuen Resistenzzüchtungen, zum Beispiel bei Salat. Diese hat nur solange Bestand, bis sie erneut durchbrochen wird. Samenfeste Sorten sind oft tolerant gegenüber Schaderregern und machen beim ‚Wettrüsten‘ nicht mit.
Vor allem kann man Hybrid-Saatgut nicht nachbauen. Ein gravierenes Manko, denn man schafft langfristig gefährliche Abhängigkeiten von der Industrie.

Welche Vorteile hat es, wenn man auf regionale Landsorten bei Gemüse achtet? Und wie findet man sie überhaupt?
So stellt sich die erste Frage für uns nicht. Regionale Sorten zu finden ist mühsam. Wir haben durch ein Projekt beim Dreschflegel e.V. 2005 bis 2007 eine große Sammlung in Ostfriesland zusammen bekommen. Aktuell läuft gerade wieder ein Projekt, um diese Sorten in die Nutzung zu bringen.
Viele bekannte Sorten, zum Beispiel der Blumenkohl ‚Erfurter Zwerg‘,  haben ihren Namen dadurch erhalten, dass sie wie in diesem Fall in Erfurt gezüchtet worden sind. Das Saatgut wurde schon immer in einem viel größeren Radius verkauft und die Sorten überall angebaut. Man kann durch eigene Nachzucht Sorten an den eigenen Standort anpassen.

Warum verschwinden die alten Gemüsesorten? Im Laden sucht man sie jedenfalls vergeblich…
Sie werden nicht mehr ausreichend nachgefragt oder neue Sorten wurden entwicklet, die die alten ablösen sollen. So kommt es, dass alte Sorten nicht mehr zu Kauf angeboten werden. Sorten mit denen nicht mehr genügend Geld verdient wird, fliegen aus dem Sortiment und werden auch nicht mehr erhalten. Erhaltungsinitiativen und einige Saatgutproduzenten, dazu gehört auch Dreschflegel, vermehren diese Sorten weiter.

Welche Folgen hat der Verlust der Pflanzenvielfalt?
Uns geht es um die Vielfalt der Kulturpflanzen und Sortenvielfalt. Mit deren Verlust geht Arbeit von Generationen verloren und ein großes Potential für die weitere Züchtung. Jede Sorte hat eine Kombination bestimmter Eigenschaften, die über einen langen Zeitraum, das heißt 10 Jahre plus x, entwickelt wurden. Die Bedürfnisse bei der Sortenzüchtung sind zudem ganz unterschiedlich: der Erwerbsanbau benötigt zum Teil andere Sorten als der Hobbyanbau.

Ihr habt in Schönhagen in der Nähe vom Heilbad Heiligenstadt einen Schaugarten errichtet. Welche Funktion hat er?
Der Schaugarten in Schönhagen gehört dem Kuhmuhne e.V. und ist öffentlich zugänglich. Die Dreschflegel GbR unterstützt den Schaugarten und es wächst dort Dreschflegel-Saatgut. Alte Sorten und Vielfalt sollen sichtbar gemacht und Zusammenhänge bei der Sortenentwicklung dargestellt werden. Der Dreschflegel e.V. nutzt ihn auch bei den Saatgut-Seminaren in Schönhagen.

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