Zu Besuch in: Venedig

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„Kulinarische Steinwüste“

Wer im Herzen Venedigs nach blühenden Gärten oder gar kleinen Gemüsegärten sucht, kommt nicht wirklich auf seine Kosten. Aber dafür ist diese Stadt ja auch nicht berühmt. Venedig ist eine wundervolle Steinwüste, durchzogen von milchig-grünen Kanälen, man geht treppauf und treppab durch enge Gassen, in denen sich Touristen drängen oder abseits der Hauptschlagadern gänzlich verlieren, als wäre es die einsamste Stadt der Welt.

Aber es muss eine Zeit gegeben haben, in der die Verbindung zur Natur und die Neigung zu mehr Grün stärker ausgeprägt war, als es heute offensichtlich der Fall ist.

Läuft man durch den nördlicheren Teil Venedigs, vorbei an den ruhigen Kanälen des Stadtteils Sestiere Cannaregio und biegt ein paarmal ab, steht man unvermittelt vor einer wunderschönen gotischen Kirche mit Ziegelsteinfassade. Wer sich dorthin verirrt, gelangt an einen Ort, wo der Maler Tintoretto seine letzte Ruhestätte gefunden hat, in dieser Kirche, die er so sehr liebte und die einige seiner Hauptwerke beherbergt.

Interessant ist jedoch noch ein anderer Aspekt. Diese Kirche wurde nämlich im Jahr 1377 anlässlich eines Madonnenfundes in einem Gemüsegarten, dem orto, errichtet und trägt seitdem auch ihren Namen: Maria dell`Orto. Gemüsegärten hat es also seinerzeit offensichtlich noch gegeben.

Schlendert man weiter Richtung Markusplatz durch das Wirrwarr der Gassen und übersieht nicht den dunklen, engen Gang, der sich zu einem Innenhof hin öffnet, erreicht man den Palazzo Grimani. Im 16. Jahrhundert gehörte er einem Dogen, der wohl von einer sehr großen Sehnsucht nach dem paradiesischen Garten erfüllt war. Wahrscheinlich waren die Gemüsegärten zu dieser Zeit schon alle unter den diversen Palazzi begraben, der wertvolle Platz war ja begrenzt.

Da man es aber trotzdem schön haben wollte, wurden die Wände alle kunstvoll bemalt. Betrachtet man das Dekor und die Deckenmalerei, hört man geradezu das Gezwitscher der Vögel, riecht den Duft der Orangen- und Zitronenbäume und sieht förmlich die mit Obst und Gemüse üppig gefüllten Schalen und Teller auf den langen Tafeln in den prächtigen Räumen stehen.

Diese Üppigkeit deutet gleichzeitig auf eine vielfältigere und fantasievollere Küche hin als es heute der Fall ist. Venedig hat den Status einer kulinarischen Wüste (gelato selbstverständlich nicht inbegriffen). Zumindest haben wir das so erlebt.

Vegetarisch gut zu speisen ist in Italien kein Problem, sieht man von der Lagunenstadt ab. Schuhsohlenartiges gegrilltes Gemüse, mit Glück einen Salat (wenn auch uninspiriert), 0-8-15-Pizza, einfachste Pasta, Fertig-Gnocchi. Das ist sehr mager für einen Ort, auf dessen Gemüsemärkten es den länglichen Radicchio di Treviso, grünen Spargel, rote und grüne Artischocken, leckere Rote Beten, schöne Tomaten, Cicoria catalogna und andere Spezialitäten gibt und die andernorts ganz selbstverständlich auch im Resaurant verarbeitet werden. In der Toskana gibt es wie hier viele Touristen – und trotzdem wunderbares Essen an jeder Ecke.

Eine Trattoria hatte dann doch eine Überraschung zu bieten. In meiner Verzweiflung hatte ich beschlossen, im alten Ghetto ein koscheres Restaurant mit Humus und Falafel aufzusuchen. Auf dem Weg dorthin überwältigte meine Familie das knurrende Loch im Bauch, und wir bogen ab in das nächste, ruhig gelegene Lokal. Immerhin gab es die ein oder andere ungewohnte Pizzavariante, und ich entschied mich für die mit Mozzarella, Pesto und Radicchio.

Aber sensationell war dann der Boden aus feinst gemahlenem Vollkorn, zumal Teigwaren und Vollkorn in Italien normalerweise nicht zusammengehen. Ich kenne wirklich keinen Italiener, der Vollkornnudeln zu sich nimmt – wie ich finde, zurecht.

Der Wirt erklärte mir, dass das Mehl mit einer speziellen Mühle gemahlen wird und deshalb diesen besonderen Charakter erhält. Das Ergebnis: ein hinreißendes Aroma und in der Tat bekömmlicher als normaler Boden (mein nächstes Versuchsküchen-Projekt heißt übrigens Pizzaboden mit oder aus Vollkorn).

So gesättigt und mit einem Eis in der Hand schlugen wir dann eine ganz andere Richtung ein und kurz vor dem Canale Grande hob er ab, der Astronaut, den nichts am Boden hält als ein Stuhl, mit dem Blumentopf auf dem Fuß auf dem Weg zurück ins All.

Wenn einem Astronauten auf dem Mond die Botanik fehlt, was kann ein Venezianer dann gegen die ihn umgebende Steinödnis tun? Richtig! Er besinnt sich auf das bewährte Urban Gardening, stellt sich seinen Rosmarin vors Fenster und bepflanzt etliche Töpfe mit Tomaten, Bohnen, Zucchini und anderem Grünzeug und hat nach ein paar Wochen eine kleine, idyllische Oase mit Bootsanleger am Kanal. Was will man mehr?

Schließlich wieder treppauf, treppab, mal links, nochmal links, mit Umwegen und Verirrungen. Das Navigationssystem funktioniert zwischen den Häuserfluchten, wenn überhaupt nur sporadisch, ist also keine echte Hilfe. Aber wenn Marco Polo den Weg nach China und zurück in die Lagune fand, finden wir auch wieder unsere Unterkunft. Allerdings hatte er keine feixenden Kinder im Schlepptau, die dringend nach einem Klo verlangten.

Vor unserer Abreise noch ein Besuch am Gemüsestand. Dort gibt es im April schon diese kleinen, zarten Artischocken aus der Toskana, von denen ich ein halbes Dutzend kaufen wollte. Ich habe den Gemüsehändler gefragt, wie er sie am liebsten isst: mit Knoblauch in Öl zubereitet. Genau das werde ich zu Hause tun …

Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Luise sagt:

    Was für ein wunderbarer -anderer- Reisebericht – der wird unseren Reiseführer ergänzen, wenn wir hoffentlich bald mal nach Venedig kommen.

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