Zugegeben, ich kann von nichts die Finger lassen. Schon gar nicht vom Brot. NatĂŒrlich selbstgemacht. Und das schon seit elf Jahren. WĂ€hrend andere sich das Leben mit frischer Pasta vom Feinkostitaliener, fertigen Kuchen aus der TiefkĂŒhltruhe und ich-bin-noch-warm-also-muss-ich-doch-schmecken-Baguettes aus dem Supermarktbackautomaten leicht machen, habe ich jetzt angefangen, nicht nur eigenes GemĂŒse anzubauen, sondern auch noch eigene Brezeln zu backen.
Vielleicht sollte an dieser Stelle erwĂ€hnt werden, dass ich aus dem Schwabenland stamme, aber hier in der NĂ€he von Hamburg Wurzeln geschlagen habe. Ich will mich auch nicht beklagen oder den MeckerbĂ€cker spielen. Aber ich muss sagen, sie fehlen mir doch, die schwĂ€bischen Brothandwerker, deren unvergleichliche Laugenbrezeln mit den krossen, verschlungenen Ărmchen und dem weichen HefeteigbĂ€uchlein mit der knusprig-ledrigen Salzhaut fest mit meiner Kindheit verbacken sind.
Ich möchte nun auch wirklich kein Ăl ins Feuer um den Streit um die besseren Brezeln gieĂen. Leider aber bin ich mir mit hier ansĂ€ssigen Landsleuten einig, dass der nicht-schwĂ€bische und nicht-bayerische BĂ€cker von Brezeln so wenig versteht wie der Schwabe GrĂŒnkohl kennt (ausser vielleicht aus der Dose), und indifferente, bestenfalls entweder zu labbrige oder zu trockene Teiggebilde zustande bringt. Das schockierendste aber ist die Erkenntnis, dass diese einzigartigen Brezeln von damals auch im SĂŒden rar werden, wo sie doch einst einem BĂ€cker aus Bad Urach geholfen haben, den Kopf nochmal aus der Schlinge zu ziehen. Laut Legende, war er bei seinem LandesfĂŒrsten tief in Ungnade gefallen, sollte dennoch seine Chance bekommen, wenn er ein Brot backen wĂŒrde, durch das âdreimal die Sonne scheint.â
Wie soll man also diesem Verlust kulturellen Guts Einhalt gebieten, ihr kulturelle GedĂ€chtnis bewahren? Wie mache ich meinen Kindern heute diese köstliche Erfahrung zugĂ€nglich? NatĂŒrlich will ich nicht, dass sie zu Brezelfetischisten heranwachsen. Und klar, sie kommen auch mit den hunderten von TK-Brezeln durchs Leben, die unzĂ€hlige MĂŒtter mit Ringen unter den Augen im Morgengrauen fĂŒr die Aufbesserung der Klassenkasse zum Verkauf in der Schulpause aufbacken. Mich eingeschlossen.
Doch dann will es der Zufall, dass mir ein bislang unbeachtet gebliebenes Kochbuch meiner GroĂtante Liesel von 1958 in die HĂ€nde fiel. Mit Widmung fĂŒr meine Mutter, damit sie anstĂ€ndig kochen lernt. Mit 1555 Rezepten auf 384 Seiten! Rezept 1237: Laugenbrezeln. Es ist nur fĂŒnf Zeilen lang, den Rest macht langjĂ€hrige Erfahrung mit Brotteig, das Ergebnis: ĂŒberwĂ€ltigend. Zumindest was den Geschmack anbelangt.
Kneten, rollen, ziehen, schleudern. Na ja, ich habe gelesen, dass BĂ€cker eine spezielle Wurftechnik fĂŒr das Schlingen des Teigs einsetzen, bei der der Teigstrang durch eine ruckartige Bewegung in einen 180°-Drall versetzt wird. Aha, dachte ich etwas hilflos. Die ersten Versuche meinerseits scheiterten klĂ€glich, die TeigwĂŒrste flogen quer durch die KĂŒche, einer direkt ins Maul unseres interessiert zuschauenden Hundes. Also weiter mit kneten, rollen, ziehen, ohne Wurftechnik verschlingen und irgendwie hindrapieren. Die vollkommene Form hatten sie noch nicht. Das ist schwer! Dann rein in die Natronlauge und in den Backofen. Ich starrte sie an als kĂ€men sie von einem anderen Stern. Ihre OberflĂ€che wurde langsam dunkler und bekam feine, weiĂe Risse. Unverwechselbarer Brezelduft strömte durchs ganze Haus. Von oben rief jemand âlecker!â Dann das erlösende Piepen.
Meine Brezeln! Sie sahen aus, als hĂ€tten sie einen kleine Kollision mit der Legoeisenbahn meines Sohnes gehabt â aber sie schmeckten einfach himmlisch. Die besten Brezeln kommen eben doch …aus dem Norden.
veröffentlicht in: BROT 1/2014, Autorin: Anna Degler-Wander