Einmal Reset, bitte!

Das hat man davon, wenn man sich beim Schrubben des Gewächshauses dem Ernährungs-Podcast-Binge-Listening hingibt: Man wird völlig kirre und nimmt erstmal ein paar Kilo zu. Wie entkommt man diesem Teufelskreis?


Bei Tätigkeiten langweiliger oder mechanischer Art (mir kommen da spontan Putzen, Gewächshaus schrubben und schweißtreibendes Fitness-Rudern in den Sinn) habe ich mir angewöhnt, Podcasts zu hören, um die Zeit doch intellektuell einigermaßen sinnvoll zu nutzen.

Da ich mich auch für Ernährung interessiere, hat mir mein Spotify-Algorithmus den Ober-Ernährungs-Doc Dr. Matthias Riedl untergeschoben. Es hat keine zehn Minuten gedauert, bis ich an der Nadel hing und mir in schlimmster Binge-Listening-Manier – mit Zwangspausen – die Folgen 1 bis 19 reingepfiffen habe, um schließlich beim Bauchfett zu landen. Das war niederschmetternd.

Binge-Watching von Serien (also hundert Episoden Modern Family am Stück zu schauen) fällt noch in die Rubrik Entspannung und ist nicht weiter schlimm. Beim Binge-Eating, also Essattacken, spricht man dagegen von einer psychischen Störung. Das Binge-Listening von Dr. Riedl liegt irgendwo dazwischen, denn man wird ganz kirre. Und zwar schleichend.

Der bekannte TV-Arzt hat nämlich eine Mission, und die heißt artgerechte Ernährung. Damit heilt er am liebsten Divertikulose, Diabetes, Depression und auch alle anderen Erkrankungen. Dass der Bestseller-Autor medial alles unternimmt, um seinen Erfolg zu boostern, sei ihm gegönnt. Allerdings fragt man sich schon, will er jetzt Überzeugungsarbeit leisten oder verkaufen, wenn er einem dauernd mit seinen Büchern und seiner Gesünder-leben-App in den Ohren liegt. Aber was tut man nicht alles, um endlich den ultimativen Durchblick zu haben und um bei Folge 24 endlich medizinisch erklärt zu bekommen, was man schon immer wusste: dass Diäten nichts bringen. Ha!

Die Tags in meinem Kopf waren jedenfalls gesetzt, gaben keine Ruhe mehr, waberten und pulsierten wild durcheinander: Entzündungsfördernd – Bauchfett – Esspausen – Gemüse – Kohlenhydrate – Menge – Maßband – Intervallfasten – Mandeln – Olivenöl – Alkohol – Ernährungsfehler – gesund – mediterran – Proteine – Muskeln.

Aus medizinischer Sicht ist Bauchfett ein Feind der ganz üblen Sorte, weil er das Krebsrisiko steigern kann. Wer will das schon?! Also packte ich zur Kontrolle das Maßband aus und musste der erschreckenden Wahrheit in den Bauchnabel blicken. Meine Taille überschritt, wenn auch nicht viel, das erlaubte Maß von 80 cm (Männer aufgepasst, ihr liegt bei 102 cm). Gut, nach drei Kindern ist die Taille nicht mehr so wie Anfang Zwanzig (außer, man heißt Madonna), aber gesund möchte man dennoch bleiben. Und obwohl ich mit meinen Werten noch in der geduldeten Grauzone lag, stimmte ab diesem Moment mit meiner Ernährung nichts mehr, da sie immer verkopfter wurde.

Wenn ich an Essen gedacht habe, habe ich fortan nicht mehr an einen köstlichen Teller Spaghetti mit leckerem Schmorgemüse, an duftendes Auberginencurry oder an eine wunderbare Tomatentarte gedacht, sondern daran, wie ich möglichst viel Wirsing, Rote Bete, Fenchel und Tofu in mich hineinstopfe. Zu diesem Zeitpunkt ging es nur noch darum, sozusagen genügend Sättigungsproteine und „500 Gramm Gemüse täglich“ (das ist Doc Riedls Vorgabe) zu essen, um „pappsatt“ in die Fastenpausen zu starten. Ich, die ich Gemüse liebe, habe mich damit gequält. Ich habe Salat gegessen, bis er mir zum Hals heraushing und wusste, das wird so garantiert nichts.

Zugegeben, ich habe im Sommer mehrere Wochen in Italien verbracht und meine aperitivi getrunken, aber tatsächlich noch nie so wenig Pasta gegessen: das Ergebnis einer freiwilligen Nudel- und Pizza-Entsagung, wenn auch nicht ganz konsequent. Genuss im Leben sollte sein. Gesunde-Ernährung-Dauer-Botschafter Riedl vermittelt ja selbst den Eindruck, alles sei ganz easy-peasy, alles ist erlaubt, „nichts ist verboten“, selbst er gönne sich an Silvester 0,1 l Sekt (gut, da liege ich vorne) und ein ungesüßtes Minifranzbrötchen aus der Küche des noblen Atlantik-Hotels und hat dann auch noch das ein oder andere „leckere“ vollwertige Rezept mit Quinoa, Möhren oder sonstwas parat.

So ungefähr habe ich es selbst dann auch gehalten: Alkohol nur homöopathisch, fast keine Weizenprodukte, keinen Zucker, keine Sahne, keinen Milchkaffee zwischendurch. Auch meine Freundinnen schickten mir schon Bilder von ihrem trostlosen Becher Kaffee schwarz. Aber rein gar nichts half gegen diese läppischen drei Kilo, die ich loswerden wollte.

Die Verzweiflung wuchs. Ich gebe mein Geld lieber für schöne Küchenutensilien und niemals für Apps aus, aber diesmal war das angepriesene Produkt mein einziger Hoffnungsschimmer, um den Fehler zu identifizieren. Hätte ich es mal lieber für einen guten Zweck gespendet. Versprochen wird einem eine „Analyse“ der Essgewohnheiten („Wir finden immer etwas“). Man tippt also erstmal minutiös aufs Gramm genau seine Mahlzeiten ein, sieht schon hier, dass der Limoncello ein Killer ist, bevor man nach Tagen auf Knopfdruck das ersehnte Ergebnis erhält. In meinem Fall sollte ich meine zwei bis drei Mahlzeiten einhalten. Danke nochmal für den wenig differenzierten Tipp!

Schlimmer war, ich hatte die Lust an der Zubereitung und am Essen verloren, weil ich nicht mehr darüber nachdachte, worauf ich gerade Appetit hatte, sondern wie ich am effektivsten mein „Soll“ an Proteinen, Gemüse und Ballaststoffen erfüllte. Also genau konträr zu meiner sonstigen Art mich zu ernähren. Ist es das wert? Auf keinen Fall.

Ich habe deshalb als Erstes die App gelöscht, den Podcast von meiner Liste genommen, mir einen Kräutertee gemacht und auf die innere Reset-Taste gedrückt. Und mir vor allem eine Regel auferlegt, nämlich meine zwei Mahlzeiten am Tag nach Lust und Laune zuzubereiten. Seitdem bewegt sich die Waage wieder in die richtige Richtung. Merkwürdig, oder?

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Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Ute Grethe sagt:

    Liebe Anna,
    deine Kolumne ist dieses Mal einfach grandios!
    Du hast uns Frauen aus dem Herzen geschrieben. Ich kann diese oberlehrerhaften Dauerbelehrungen von sogenannten Gesundheitsaposteln einfach nicht mehr hören geschweige denn lesen. Danke für deinen gesunden Menschenverstand und die Rückbesinnung auf den Genuss.
    Ute

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