Nicht ganz bei Trost

Manche Dinge verstehe ich einfach nicht. Um so weniger, je mehr sie mich verfolgen. Denn schlage ich das aktuelle Kochbuch von Nigel Slater auf, gibt es dort ein „tröstendes Gericht“ nach dem anderen, eine „tiefe Schüssel Trost“ in Form von Linsen mit Süßkartoffeln und Tomaten oder die „tröstenden Aromen“ von Blumenkohl mit Zwiebeln und Lorbeer, schlage ich das Magazin der Süddeutschen Zeitung auf, soll mich dort irgendein Eintopf trösten, und sogar der Spiegel, der auf der Suche nach der Wahrheit zwischenzeitlich auch nicht mehr die Finger vom Kochen lassen kann, kämpft mit Soljanka gegen den Blues…

Ja, es ist Winter, trüb, feucht, kalt, dunkel. Die Restaurants haben geschlossen, man kann keine Freunde einladen, und in die Sonne fliegen ist auch nicht drin. Alles Mist, keine Frage.

Menschen benötigen Trost, wenn sie traurig oder völlig verzweifelt sind, meinetwegen über das Ableben des Hamsters, das kaputte Weltklima oder die Kanne Tee, die über den Laptop mit den wichtigen, leider ungesicherten Daten gekippt ist. Gründe gibt es wahrlich genug. Bei der „tiefen Schüssel Trost“ habe ich unwillkürlich eine Person vor Augen, die über einem Küchentisch zusammenbricht, sich die Haare rauft und schluchzt – bis Herr Slater, Herr Gerlach oder Frau Lugert kommt und ihr einen Teller Hirschgulasch vorsetzt. Erst wird dankbar geseufzt, dann Nase geputzt, gegessen und schon sieht man der Welt wieder frisch gestärkt und hoffnungsvoll entgegen.

Würde ich meinen Kindern nach einer blöd gelaufenen Mathearbeit über das Haupthaar streicheln und ihnen gegen den Kummer eine dampfende Kürbissuppe vorsetzen, käme wohl eher der Vorwurf, ob ich denn noch ganz bei Trost sei.

Aber vielleicht liege ich ja auch falsch und führe deshalb eine nicht repräsentative, weil interfamiliäre Umfrage durch mit dem Thema: „Tröstet Essen?“ Sagt der eine: „Ich bin doch kein Mädchen“, die andere: „Wenn ich traurig bin, kriege ich doch gar nichts runter, allerhöchstens etwas Süßes“, wieder ein anderer kurz und knapp: „Nö“, ansonsten ernte ich verständnislose, zweifelnde Blicke. Nur die Hunde sagen: „Ja, ja, ja, auf jeden Fall, klar doch!“ und sehen mich mit den allerallertraurigsten Augen an, die sie hervorzaubern können.

Dass Zartbitter-Schokolade glücklich macht, ist ja schon wissenschaftlich untersucht und belegt. Aber Kartoffelpüree gegen Depression? Klingt eher nach Kummerspeck. Marsriegel gegen Stress? Ein süßes Teilchen vom Bäcker bei Frust? Gefährdet auf Dauer die Gesundheit. Nicht umsonst gibt es zahlreiche Ratgeber gegen die Falle des „emotionalen Essens“ und falsche Konditionierung. Also bitte nicht immer die Kinder mit Bonsche zustopfen, wenn sie quengeln. Macht dick und Karies.

Keine Frage, gutes Essen kann einen positiven Effekt auf unser Wohlbefinden haben, das beliebte Comfort food war dafür bisher zuständig. Es kann froh machen, manche sogar glücklich, zumindest aber satt und ein warmes Gefühl im Bauch. Das ist doch schon was. Comfort halt. Und die Steigerung davon ist neuerdings Trost. Ich würde ja nicht ausschließen, dass es sich bei diesen ganzen Bezeichnung im Grunde um ein und dasselbe handelt, nur dass ungenaue Übersetzungen aus dem Englischen die Verwirrung mit dem Trost und der Behaglichkeit in unsere Rezeptelandschaft gebracht haben. Na ja, und der eine schreibt ja mal gern von dem anderen ab…

Wie dem auch sei, wer wirklich jetzt und auf der Stelle Trost braucht, nicht nur in diesen Zeiten, dem würde ich raten sich in die Küche zu begeben, zu kochen und zu backen, das ist kreativ, bringt auf andere Gedanken und lenkt ab. Ganz bestimmt.

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