Barbarenbartbarbier

Früher gab es seltsame Gewohnheiten, über die man sich heute nur noch wundern kann. Zum Beispiel die Kinder zu Fuß zur Schule gehen zu lassen, sie mit Cola abzufüllen und ihnen am Sonntag bei Oma im Garten Rhabarberstängel in die Hand zu drücken, die sie schön tief in ein Glas mit weißem Zucker tunkten, um sie dann auszusaugen und das Gesicht über den grässlichen Geschmack zu verziehen. Aber früher tat man manche Dinge, die heute nicht mehr infrage kämen. Da wusste man es halt nicht besser.

Heute ist man modern, man kutschiert die lieben Kleinen mit dem SUV direkt vors Klassenzimmer, um sie nicht mit dem Straßenverkehr zu überfordern, versorgt die durstigen Quälgeister („Darf ich eine Cola?!“) stattdessen mit Bionade, um sie ruhig zu stellen, und lässt sie Rhabarber natürlich nicht mehr roh auslutschen, sondern zaubert hübsche Rhabarber-Joghurt-Popsicles aus dem Gefrierfach. Zum allgemeinen Amüsement lässt man die Kinder zehnmal ganz schnell hintereinander „Rhabarber“ sagen und prüft die Teenager, ob sie den Unterschied zwischen „der Rhabarber“ und „das Rhabarber“ erklären können. Wenn dann Antworten kommen wie: „Ist das ein Gebirge? So wie der Himalaya?“, sollte man sich selbst auch ein Popsicle gönnen und abkühlen.

Überhaupt ist die Lust auf Rhabarber wieder gestiegen. Seitdem die fitnessverliebten Anhänger der diätaffinen, bewussten Küche entdeckt haben, dass er nur 13 Kalorien pro 100 Gramm enthält, verarbeiten sie ihn munter in Crumble, Käsekuchen, Knödel und Geleespeise. Er wird geschätzt als Schlankmacher und Verdauungsförderer, findet sich wieder in Cocktails, Likören, Low Carb Vital-Drinks und Putzmitteln.

Manche staunen ein bisschen über die deutsche Rhabarber-Marotte. Während seine Kultivierung in den Kleingartenkolonien hierzulande geradezu ein Muss ist, gilt er in Russland zum Beispiel als absolut ungenießbar.

Ein Garten ohne Rhabarber? Ohne Rheum Rhabarbarum, die fremdländische Wurzel, die ursprünglich aus dem Himalaya (die Teenager brachten wohl nur ihre Latein- und Geografiekenntnisse durcheinander) stammt? Geht gar nicht.

Rhabarberkuchen ist schließlich ein Klassiker und Rhabarberkompott als Nachtisch nicht wegzudenken. Der nostalgische Geschmack von Landpartie und Bauerngarten, Kindheit und Zungenbrechern.

Eine Freundin hat mir erzählt, dass sie einmal bei einer dieser Partys eingeladen war, die schon nachmittags beginnen und bei denen jeder „eine leckere Kleinigkeit“ fürs Büfett mitbringen sollte. Und was war? Da standen dann sechs – wie könnte es anders sein – Rhabarberkuchen nebeneinander, und man verbrachte die Stunden damit, diese zu vertilgen.

Wer weiß, vielleicht gab es abends ja dann Spargel-Risotto mit Rhabarber-Sauce, Sellerie-Rhabarber-Gemüse, Nudeln mit karamellisiertem Kohlrabi und Rhabarber, und Salat mit Rhabarber-Salsa. Die liegen nämlich im Trend.

Dann vielleicht doch lieber Zungenbrecher für Erwachsene lernen: RhabarberBarbaraBarBarbarenBartBarbier.

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